15.07.2024

Konflikte zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat analysieren

Konflikte gehören zur Natur der Betriebsratsarbeit

 

Kapital und Arbeit stehen in einem Grundkonflikt zueinander: Die Arbeitgeberseite will immer möglichst viel Arbeitskraft für möglichst wenig Geld; arbeitende Menschen möchten immer möglichst wenig für möglichst viel Geld arbeiten. Das ist selbst unter konservativen Ökonom*innen unbestritten.

Unbestritten ist auch, dass die Arbeitgeberseite in diesem Konflikt strukturell in der stärkeren Position ist. Im Zweifelsfall kann der Arbeitgeber einfach andere Arbeiter*innen anstellen, den Betrieb verlegen, die Produktion umstellen o. ä. Die Arbeiter*innen haben diese Optionen nicht – ihnen bleibt häufig nur, von Transferleistungen abhängig zu sein. Aus diesem Grund ist das Arbeitsverhältnis nur im Zivilrecht gleichberechtigt. Das Arbeitsrecht hingegen kennt die strukturellen Nachteile der Arbeitnehmer*innenseite und ist daher vor allem Arbeitnehmerschutzrecht.

 

Das Betriebsverfassungsrecht ist Teil dieses Ensembles von Arbeitnehmerschutzrechten. Eine zentrale Aufgabe des Betriebsrates besteht darin, die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer*innenseite gegenüber der Arbeitgeberseite zu verteidigen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Der Betriebsrat ist also qua Gründung bereits Teil des Grundkonfliktes zwischen Kapital und Arbeit.

 

Man denkt über Konflikte meist, dass sie kommen und wieder gehen, als Ausnahme vom konfliktfreien Normalzustand. In der Betriebsverfassung ist der Konflikt aber immer da. Deshalb ist die bloße Existenz des Betriebsrates für viele Arbeitgeber schon ein rotes Tuch. Bereits die Gründung eines Betriebsrates wird oft genug behindert und bekämpft.

 

Das Betriebsverfassungsgesetz legt einen starken Fokus auf diesen Grundkonflikt zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer*innenseite. Der Konflikt wird nicht verschwiegen; er soll aber auch nicht eskalieren und die betrieblichen Abläufe stören. Es geht vielmehr darum, den Konflikt möglichst erfolgreich zu bearbeiten. Beispiele dafür sind:

  • Die vertrauensvolle Zusammenarbeit in § 2 Abs. 1 BetrVG
  • Die Friedenspflicht in § 74 Abs. 2 BetrVG
  • Das Monatsgespräch in § 74 Abs. 1 BetrVG
  • Die Einigungsstelle in § 76 BetrVG
  • Die Betriebsvereinbarung in § 77 BetrVG, Einigungen sollen Bestand haben und nicht nur für wenige Tage gelten
  • Die Schutz- und Informationsrechte des Betriebsrates, die sicherstellen sollen, dass der Betriebsrat auch in der Lage ist, als Konflitkpartei zu agieren und nicht sofort vom Arbeitgeber entfernt werden kann. Wenn ich meinen Konflitkpartner aus dem Spiel nehmen könnte, würde der Konflikt zwar auf den ersten Blick enden. Er könnte dann aber auf anderer Ebene eskalieren.

 

Es ist also keine Ausnahme, sondern zentrale Idee der Institution Betriebsrat, bestehende Konflikte zu klären und möglichst gute Lösungen zu finden. Der Betriebsrat sollte sich dies von Anfang an vor Augen führen und nicht versuchen, Konflikte zu umgehen, sondern bewusst zu deren Klärung beitragen.

 

Wir konzentrieren uns hier auf die Konflikte zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. In der Praxis hat es der Betriebsrat aber auch mit Konflikten mit der Belegschaft, innnerhalb der Belegschaft, ggf. auch mit der Gewerkschaft und vor allem mit Konflikten innerhalb des Betriebsrates zu tun.

 

II 6 Stufen der Konflikteskalation

 

Dieses Konzept geht zurück auf das Modell der Konflikteskalation von Friedrich Glasl aus dem Jahr 1980. Glasl hat 9 Stufen identifiziert. Vor allem seine drei übergeordneten Ebenen von „win-win“, „win-lose“ und „lose-lose“ sind hilfreich für die Betriebsratsarbeit.


Die Grundidee ist: Sofern nicht beide Seiten aktiv an einer gemeinsamen Lösung eines Konflikts arbeiten, dann verändern sich Konflikte, und zwar zum Schlechten; sie eskalieren. Diese Eskalation verläuft in meinem Modell in sechs Stufen.

Ebene I win-win

Es gibt einen Konflikt, an dessen Lösung Arbeitgeber- und Betriebsratsseite aktiv arbeiten. Sie kommunizieren offen miteinander. Es gibt grundsätzlich die Möglichkeit der Einigung. Von der Einigung können beide profitieren (win-win). Betriebsverfassungsrechtlich findet dies meist auf der Ebene von freien Verhandlungen im Monatsgespräch oder in anderen Zusammenhängen statt.

 

 

 

1. Uneinigkeit

Betriebsrat und Arbeitgeber vertreten in einer Sache unterschiedliche Positionen. Die Angelegenheit wird auf verschiedenen Kanälen diskutiert. Auch wenn die Auseinandersetzungen auf sachlicher Ebene hart sind, besteht immer die Möglichkeit der Einigung. Beide Seiten setzen sich mit den Argumenten der Gegenseite konstruktiv auseinander.

Es besteht keine Harmonie, dennoch oder vielleicht gerade deswegen ist diese Situation der Optimalfall der Betriebsratsarbeit. Wenn man es schafft, Konflikte immer auf dieser Ebene zu klären, wird man viele gute Lösungen für die Kolleg*innen und den Betrieb finden.

 

2. Verhärtete Fronten

Die Auseinandersetzung wird weniger konstruktiv. Man hat das Gefühl, alle Argumente wurden bereits (erfolglos) ausgetauscht. Die Positionen der Gegenseite werden nicht mehr beraten, sondern abgetan. Missverständnisse und Fehlinterpretationen häufen sich. Jede Seite hat das Gefühl, die andere Seite bewegt sich nicht mehr, egal was man sagt. Der Arbeitgeber bezeichnet die Forderungen des Betriebsrates z. B. als „Unsinn“ oder „betriebsschädigend“.

Ein charakteristisches Zeichen dieser Stufe ist, dass eher weniger als mehr diskutiert wird. Monatsgespräche fallen aus, Diskussionen flachen ab, die Kommunikation erfolgt eher schriftlich als persönlich.

 

Ebene II win-lose

Der Konflikt verschärft sich. Das gegenseitige Vertrauen schwindet. Man will die andere Seite nicht mehr mit guten Argumenten überzeugen, sondern die eigene Sicht durchsetzen. Betriebsverfassungsrechtlich werden Konflikte auf dieser Ebene meist mittels externer Instanzen des Arbeitsgerichts und der Einigungsstelle ausgetragen.

3. Bekämpfung

Auf dieser Stufe beginnen Arbeitgeber und Betriebsrat aktiv Strategien zu entwickeln, um der anderen Seite zu schaden. Oft wird nun die Belegschaft als Akteur miteinbezogen. Die Konfliktparteien versuchen die jeweils andere Partei bei der Belegschaft schlecht dastehen zu lassen – vielleicht auf Betriebsversammlungen oder in Rundbriefen oder in anderen Gesprächen. Es wird nicht mehr miteinander, sondern übereinander geredet. An diesem Punkt ist es schwer, zu konstruktiven Diskussionen in freien Verhandlungen zurückzufinden. Stattdessen muss hier häufig – je nachdem, ob es um Rechts- oder Regelungsfragen geht – auf Arbeitsgericht oder Einigungsstelle zurückgegriffen werden.

4. Drohungen

Auf dieser Stufe ist das Sachthema bereits vollständig in den Hintergrund getreten. Oftmals im Vordergrund: Aggressivität, Manipulation, Machtdemonstration. Konstruktive Zusammenarbeit ist kaum noch vorstellbar. Drohungen sind ein klares Zeichen dafür, dass das Verhältnis kurz davor ist, vollständig zu kippen. Auch das Untergraben der Arbeitsgrundlage der anderen Partei findet auf dieser Stufe statt. Hierzu ist im Wesentlichen der Arbeitgeber in der Lage.

Ebene III lose-lose

Der Konflikt ist so weit eskaliert, dass es nur noch Verlierer geben kann. Er kann an dieser Stelle nicht mehr beendet werden, ohne dass beide Seiten Schaden nehmen. Es geht den Konfliktparteien nun (vor allem) darum, der anderen Seite gezielt zu schaden. Hier ist es in erster Linie (nicht ausschließlich, aber weitgehend) die Arbeitgeberseite, die über die Mittel verfügt, den Betriebsrat und die einzelnen BR-Mitglieder zu beschädigen oder zu vernichten, weswegen diese Ebene fast ausschließlich der Arbeitgbeberseite vorbehalten ist.

 

5. Beschädigung

Man versucht, die andere Seite durch gezielte Schläge zu beschädigen. Hierzu gehören Angriffe gegen einzelne BR-Mitglieder, wie Abmahnungen, Verweigerung von Freistellung und andere Probleme, denen nur individualarbeitsrechtlich begegnet werden kann. Betriebsräte sind manchmal erfolgreich damit, die übergeordneten Stellen im Unternehmen oder Konzern zu aktivieren.

 

6. Vernichtung

An diesem Punkt geht es nur noch darum, die andere Seite zu vernichten und als Konfliktpartei aus dem Weg zu räumen. Der Arbeitgeber kann hierfür auf verschiedene Mittel zurückgreifen: Kündigung, Absetzung und Auflösung des Gremiums, Neuwahl bzw. manipulierte Neuwahl.

Der Betriebsrat kann unter Umständen auf den Strafantrag aus § 119 BetrVG zurückgreifen.

 

These II Eskalation vor allem durch die Arbeitgeberseite

Konflikte verlaufen nicht immer exakt nach dem hier skizzierten Schema. Sie können auch von einer Partei bewusst und strategisch gesteuert und eskaliert werden. Häufig kann man das Phänomen beobachten, dass Arbeitgeber mehrere Stufen der Eskalationsspirale überspringen oder gleich auf der letzten Stufe einsteigen. Je höher sich die Eskalation steigert, desto schwieriger ist es, Mitbestimmungsarbeit zu machen, desto eher werden sich betriebliche Regelungen verzögern oder gleich komplett verhindert werden. Leider ist dies die Kalkulation nicht weniger Arbeitgeber – sicherlich nicht aller! –, die sich davon am Ende mehr versprechen als von der konstruktiven Zusammenarbeit mit ihrem Betriebsrat.

Auch im obigen Beispiel findet sich dieses Phänomen. Der Arbeitgeber versucht, Einfluss auf die anstehende Wahl zu nehmen. Anstatt sich mit dem aktuellen Gremium auseinanderzusetzen, zielt er darauf ab, ein anderes Gremium zu installieren.